Zwischen Hoffnung, Image und Wirklichkeit – Musik aus dem Märkischen Viertel

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Im Märkischen Viertel gibt es seit vielen Jahren erstaunlich viele Menschen, die Musik machen. Rap, Gesang, elektronische Musik, Bands, Solo Projekte, kleine Studios in Wohnungen oder Kellern. Wer hier lebt und sich ein wenig bewegt, kennt die Namen, kennt Links, kennt Songs, die zugeschickt werden. Manche davon bleiben hängen, andere verschwinden wieder. Was fast alle verbindet, ist die Hoffnung, mit Musik irgendwann wirklich nach oben zu kommen.

Diese Hoffnung ist nicht neu. Seit Jahrzehnten versuchen Künstler aus dem Viertel, einen Weg zu finden, der über das Lokale hinausführt. Allein in Phasen, in denen ich selbst viel Musik gemacht habe, gab es parallel unzählige Musiker, die genau das wollten. Ernsthaft, mit Zeit, mit Energie, mit Überzeugung.

Wenn man heute zurückblickt, bleibt eine nüchterne Beobachtung. In den gut 20 Jahren seit Sido aus dem Märkischen Viertel heraus bekannt wurde, hat es niemand geschafft, einen auch nur annähernd vergleichbaren, dauerhaften Erfolg aufzubauen. Nicht, weil es an Talent fehlte. Sondern weil die Realität der Musikbranche eine andere ist, als sie oft erzählt wird.

Begegnungsfest am Seggeluchbecken – Ein Fest der Vielfalt und Begegnung

Viele Künstler vermitteln nach außen ein Bild von Erfolg. Releases, Videos, Auftritte, Klickzahlen. Das gehört dazu, denn Aufmerksamkeit ist Teil dieses Systems. Wer nicht sichtbar wirkt, findet kaum statt. Gleichzeitig entsteht dadurch ein Image, das selten die ganze Wahrheit zeigt. Selbst Menschen mit einem viralen Song oder mehreren hunderttausend Klicks können davon oft nicht leben. Was nach außen groß aussieht, reicht im Alltag häufig kaum für Miete, Technik und Zeit.

Vergleicht man das mit Lotto, wirkt der Gedanke zuerst absurd. Aber je nüchterner man rechnet, desto ähnlicher werden sich beide Welten. Beim Lotto liegt die Chance auf den Jackpot bei etwa eins zu 140 Millionen. Das weiß jeder. Niemand baut daraus eine Erzählung über einen sicheren Weg nach oben. Musik dagegen fühlt sich greifbarer an. Man kann üben, besser werden, Songs veröffentlichen. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, durch Musik Millionär zu werden, extrem gering. Vielleicht nicht exakt so gering wie beim Lotto, aber so klein, dass sie für die allermeisten ein Leben lang unerreichbar bleibt.

Ein Viertel singt zurück – Fête de la Musique 2025 im Märkischen Viertel

Der große Unterschied ist die Wahrnehmung. Beim Lotto gibt es keine Bühne, kein Image, keine Erwartung, erfolgreich auszusehen. In der Musik geht es oft genau darum. Daraus entsteht ein Spannungsfeld zwischen ehrlicher Realität und notwendiger Außendarstellung.

Diese Gedanken beschäftigen mich heute auch aus einem ganz anderen Grund. Ich habe gemeinsam mit meiner Tochter ein Lied gemacht. Sie hat gesungen und gerappt, ich habe den Beat gebaut und zusammengesetzt. Jetzt sagt sie, sie würde das Lied gern veröffentlichen. Und natürlich spricht sie auch davon, Erfolg zu haben. Davon zu träumen.

Ich möchte, dass sie träumen darf. Ich möchte ihr Möglichkeiten eröffnen und sie ernst nehmen in dem, was sie ausdrücken will. Gleichzeitig möchte ich ihr kein falsches Bild von der Welt vermitteln. Und das ist ohnehin schwer genug, denn ein klares Bild davon, wie diese Welt funktioniert, ist selbst für Erwachsene kaum zu bekommen.

Meine Intention bei diesem Lied ist nicht der große Gelderfolg oder internationale Bekanntheit. Wenn so etwas passieren sollte, wäre es am Ende ein Glücksfall. Ein Lottogewinn. Und genau hier liegt für mich der entscheidende Unterschied. Wenn man schon auf etwas Unwahrscheinliches setzt, dann lieber auf etwas, das gleichzeitig etwas Sinnvolles tut. Nicht Geld für ein Los ausgeben, sondern ein Lied machen, das Menschen erreicht, im Kopf bleibt und vielleicht etwas bewegt.

Das Lied, das wir zusammen gemacht haben, dreht sich um Werbung. Um die Dauerbeschallung, der Kinder heute ausgesetzt sind. In sozialen Medien, auf YouTube, über Influencer, auf dem Weg zur Schule, auf dem Handy, überall. Früher waren es Plakate und Fernsehspots. Heute ist Werbung oft Teil der Inhalte selbst und kaum noch als solche erkennbar. Auch Kinder werden damit konfrontiert, lange bevor sie überhaupt verstehen können, wie das alles funktioniert.

Diese Idee war der Ausgangspunkt für unser Lied. Nicht als Zeigefinger, sondern als Beobachtung. Als Versuch, etwas sichtbar zu machen, das längst Alltag geworden ist. Musik bietet dafür eine Möglichkeit, weil sie sich wiederholt, weil sie im Kopf bleibt, weil sie weitergetragen wird.

An dieser Stelle möchte ich auch etwas klar sagen. Im Märkischen Viertel gibt es sehr viele Musiker, die ich persönlich kennengelernt habe. Menschen, die Zeit, Herz und Energie in ihre Musik gesteckt haben. Auch wenn der große internationale Erfolg ausgeblieben ist, war das, was sie gemacht haben, kein Scheitern. Für viele war es eine Bereicherung des eigenen Lebens und oft auch für andere. Umso sinnvoller die Botschaften waren, die sie vermittelt haben, umso größer ist mein Respekt dafür.

Musik sollte mehr sein als die Suche nach Erfolg und Ruhm. Sie bleibt im Kopf. Sie erzeugt Gedanken, Haltungen, Erinnerungen. Und vielleicht liegt genau darin ihr eigentlicher Wert. Nicht darin, wie viele Menschen man erreicht, sondern was man ihnen mitgibt. Gerade hier im Märkischen Viertel, wo so viel entsteht und so wenig davon sichtbar erfolgreich wird, lohnt es sich, diesen Gedanken festzuhalten.

VonLux

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